Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz: Zwischen Herausforderung und Chance
Dez. 2024Gitta Mäulen, Geschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim und der Arbeitsmedizinischen Zentren Nordwest, mit Dr. Ansgar Siegmund, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in der EUREGIO-KLINIK in Nordhorn, bei der Informationsveranstaltung „Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz: Herausforderungen und Chancen für Arbeitgeber“.
Informationsveranstaltung und Podiumsgespräch beleuchten Ursachen, Lösungen und Chancen für Arbeitgeber
Am 20. November 2024 kamen im Manz-Saal des NINO-Hochbaus in Nordhorn zahlreiche Arbeitgeber, Personalverantwortliche und Fachleute zusammen, um sich über das Thema „Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz: Herausforderungen und Chancen für Arbeitgeber“ auszutauschen. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim in Kooperation mit ihrem Partnerverein, den Arbeitsmedizinischen Zentren Nordwest, sowie dem Sozialpsychiatrischen Verbund des Landkreises Grafschaft Bentheim.
Die Begrüßung übernahm die Geschäftsführung der Wirtschaftsvereinigung und der Arbeitsmedizinischen Zentren, Gitta Mäulen, die auf die wachsende Bedeutung des Themas hinwies. Mit Blick auf aktuelle Zahlen verdeutlichte sie, dass der durchschnittliche Krankenstand in Deutschland im Jahr 2023 bei 19,4 Krankheitstagen pro Arbeitnehmer lag, wobei psychische Erkrankungen eine häufige Ursache für Arbeitsunfähigkeitszeiten darstellten. Die volkswirtschaftlichen Kosten würden auf rund 17,2 Milliarden Euro geschätzt. „Unsere Welt ist zunehmend von Unsicherheiten geprägt, die auch die Gesundheit der Menschen beeinflussen“, hieß es in der Begrüßung. „Die Arbeitswelt wandelt sich in einem immer schneller werdenden Tempo, was von Arbeitgebern verlangt, sich aktiv mit der Thematik auseinanderzusetzen.“ Als Arbeitgeber gehe es darum, ein unterstützendes Arbeitsumfeld zu schaffen, Stress und Überlastung zu minimieren, eine geeignete Unternehmenskultur zu gestalten und Mitarbeitende aktiv mit einzubeziehen.
Die Bedeutung dieses Engagements spiegelte sich in der regen Teilnahme von rund 100 Gästen wider, die ein umfassendes Bild vermittelt bekamen – von der medizinischen Betrachtung bis hin zu praktischen Ansätzen.
Impulsvortrag von Dr. Ansgar Siegmund
Der Impulsvortrag „Psychische Erkrankung und Arbeit – (k)ein Problem?“ von Dr. Ansgar Siegmund, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in der EUREGIO-KLINIK in Nordhorn, bot den Teilnehmenden fundierte Einblicke in die Vielschichtigkeit psychischer Erkrankungen und deren Auswirkungen auf den Arbeitsplatz.
Dr. Siegmund eröffnete mit einem Überblick über die Häufigkeiten psychiatrischer Erkrankungen, bei denen Angststörungen und affektive Erkrankungen den größten Anteil haben. Anschaulich schilderte er die Symptome von verschiedenen Krankheitsbildern, wie Demenzen, Schizophrenien, Depressionen, Angsterkrankungen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsstörungen und betonte den zunehmenden Einfluss von Anpassungsstörungen bei der Zunahme von Arbeitsunfähigkeiten. „Insgesamt rangieren psychische Erkrankungen im Jahr 2023 auf dem dritten Platz der Hauptursachen für Ausfalltage. Bei diesen spielen vor allem Depressionen mit ca. 39 Prozent und Angsterkrankungen bzw. Anpassungsstörungen mit rund 53 Prozent eine entscheidende Rolle“, erklärte er.
Als mögliche Ursachen für diese Entwicklung nannte Dr. Siegmund den Wandel der Erwerbsformen, den hohen emotionalen Druck vieler Arbeitsplätze, den wachsenden Anpassungsdruck sowie die Zunehmende Globalisierung und den Motilitätsdruck auf die Erwerbstätigen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, zeigte er konkrete Unterstützungsmöglichkeiten für Arbeitgebende und Arbeitnehmende auf, die im anschließenden Podiumsgespräch nochmals sehr intensiv vertieft wurden.
Podiumsgespräch beleuchtet Herausforderungen und Lösungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen
Im Anschluss an den Impulsvortrag moderierte Gitta Mäulen ein Podiumsgespräch, das sich mit konkreten Fallbeispielen und praxisnahen Lösungsansätzen für den Umgang unter anderem mit psychischen Erkrankungen im Arbeitsumfeld beschäftigte. Die Expertenrunde beleuchtete die Thematik aus verschiedenen Perspektiven und stellte klar, wie entscheidend Präventionsmaßnahmen, Offenheit und eine vertrauensvolle Arbeitsumgebung sind.
Erkennen und Handeln: Der erste Schritt zur Unterstützung
Zu Beginn stand die Frage im Fokus, wie Führungskräfte psychische Belastungen bei Mitarbeitenden erkennen – beispielsweise durch ein verändertes Verhalten, der Nichterfüllung von Aufgaben oder einer schwierigen Kommunikation – und erste Schritte zur Unterstützung einleiten können.
Die Ärztliche Leiterin der Arbeitsmedizinischen Zentren Nordwest, Silke Altevers, betonte die Wichtigkeit, Veränderungen bei Mitarbeitenden zum Beispiel in Bezug auf die Arbeitsdisziplin oder dem Sozialverhalten, frühzeitig wahrzunehmen. Wichtig sei in diesen Momenten mit dem Mitarbeitenden ein Gespräch zu suchen und eventuelle Ursachen zu eruieren. Der zuständige Betriebsarzt könne ebenfalls mit eingebzogen werden und als erste Anlaufstelle Hilfen wie psychologische Beratungsstellen, Telefonseelsorge oder den Kontakt zum Hausarzt vermitteln.
Ilka Buhr vom Integrationsfachdienst Nordhorn betonte ihre Rolle als neutraler Vermittler zwischen Mitarbeitenden und Arbeitgebenden. Der Integrationsfachdienst biete in allen Fragen der beruflichen Eingliederung von Menschen mit einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung professionelle Unterstützung und Begleitung. Ein niedrigschwelliger Zugang soll gewährleistet sein, weshalb sich auch Mitarbeitende an den Integrationsfachdienst wenden können, bei denen die Behinderung noch nicht durch das Versorgungsamt festgestellt worden ist. Zu den Unterstützungsleistungen zählten beispielsweise eine psychosoziale Betreuung und Begleitung bei Gefährdung des Arbeitsplatzes oder problematischer Kommunikation im Betrieb sowie Hilfe bei Antragstellungen und rechtlichen Fragen. Für Arbeitgebende berate der Integrationsfachdienst zu Fördermöglichkeiten, informiere über Auswirkungen und Erkrankung, ermittle Anforderungs- und Leistungsprofile oder unterstütze die Anpassung von Arbeitsplätzen und Arbeitsstrukturen.
Ergänzend biete das Integrationsamt als begleitende Hilfe im Arbeitsleben für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen das JobcoachingAP an. Alina Genesius erklärte, das JobcoachingAP sei ein definiertes, zeitlich befristetes Unterstützungsangebot, welches im Unternehmen bzw. in der Dienststelle stattfinde. Es werde von einer betriebsexternen Fachkraft durchgeführt, die sich in den Arbeitsalltag einbinde. Dabei würden individuelle Lösungen erarbeitet, etwa zur Arbeitsplatzgestaltung oder zu organisatorischen Anpassungen.
Hanno Büscher vom Sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises Grafschaft Bentheim ergänzte, dass sein Team Beratung, Information und Begleitung für Menschen mit psychischen Erkrankungen und seelischen Problemen anbiete. Das Angebot beinhalte umfassende Beratung, Information und Begleitung zu psychiatrischen und sozialen Problemen der Betroffenen. Arbeitgebende könnten zudem auch anonyme Unterstützung und Beratung suchen, und bei Bedarf handle man, insbesondere in akuten Fällen – wie beispielsweise bei der Gefährdung von anderen Mitarbeitenden oder bei Eigengefährdung – in enger Abstimmung mit anderen Institutionen, wie z.B. etwa bei der Einweisung in eine Klinik.
Rückkehr und Prävention: Perspektiven für die Zukunft
Ein weiteres Thema war die schrittweise Rückkehr betroffener Mitarbeitende in den Arbeitsprozess. Dr. Siegmund schilderte, wie eng abgestimmte Wiedereingliederungspläne den Übergang erleichtern können. Dabei arbeiten Sozialdienste und Arbeitgebende zusammen, um individuelle Lösungen zu finden. Für den Bereich Prävention hob Silke Altevers von den Arbeitsmedizinischen Zentren Nordwest Maßnahmen wie Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen, Workshops und eine transparente Kommunikation im Unternehmen hervor.
Yvonne Rohe vom Firmenservice der Deutschen Rentenversicherung Bund stellte das Konzept des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) vor, welches greife, wenn Mitarbeitende innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder in Summe arbeitsunfähig seien. In BEM-Gesprächen solle thematisiert werden, welche betriebsbedingten Ursachen oder auch private Faktoren hinter einer Erkrankung stecken und wie Ausfallzeiten durch Arbeitsunfähigkeit überwunden werden könnten. Die Personalreferentin Brigitte Skutta von Neuenhauser Maschinenbau berichtete von ihren positiven Erfahrungen mit dem BEM-Verfahren. Trotz Herausforderungen wie Datenschutzbedenken und zeitlichen Ressourcenmangel habe sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten ergeben. Angebote wie innerbetrieblicher Arbeitsplatzwechsel, Arbeitsreduzierung oder eine stufenweise Eingliederung hätten sowohl Fehlzeiten reduziert als auch Mitarbeitende langfristig gebunden.
Daneben stellten Vertreter von der Agentur für Arbeit und vom Grafschafter Jobcenter ihre Unterstützungsangebote vor, darunter Programme zur beruflichen Rehabilitation und zur Beratung zum Einsatz von Fördermitteln.
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch eine Ausstellermesse, die eine Plattform für Gespräche und den Austausch praxisnaher Lösungsansätze bot. Die Teilnehmenden konnten Kontakte knüpfen und sich über Unterstützungsangebote informieren.
Die Organisatoren zeigten sich hochzufrieden mit der Resonanz. „Psychische Gesundheit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Als Arbeitgebende sind wir gefordert, aktiv Lösungen zu finden – nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch im Sinne unserer Mitarbeitenden“, resümierte die Geschäftsführung der Wirtschaftsvereinigung und der Arbeitsmedizinischen Zentren. Ein offener Dialog und ein gemeinsamer Blick aus unterschiedlichen Perspektiven sei entscheidend, um psychischen Erkrankungen in der Arbeitswelt zu begegnen. Durch gezielte Präventionsmaßnahmen und die enge Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten können sowohl Mitarbeitende als auch Unternehmen gestärkt werden.
Gitta Mäulen, Geschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Grafschaft Bentheim und der Arbeitsmedizinischen Zentren Nordwest, moderiert das Podiumsgespräch mit Experten aus verschiedenen sozialen Bereichen bei der Informationsveranstaltung „Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz: Herausforderungen und Chancen für Arbeitgeber“.
Ausstellermesse im Rahmen der Informationsveranstaltung „Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz: Herausforderungen und Chancen für Arbeitgeber“.
Bilder: Wirtschaftsvereinigung der Grafschaft Bentheim e.V.