Ist Wasserstoff das neue Gas?

Bildunterschrift: v.l. Die Referenten Dr. Tim Husmann (H2-Region Emsland), Heiko Eisert (RWE Generation SE) und Frank Heunemann (Nowega GmbH) bei der Informationsveranstaltung im NINO-Hochbau in Nordhorn, Bildquelle: Wirtschaftsvereinigung der Grafschaft Bentheim e.V.

Experten berichten im NINO-Hochbau vom Aufbau einer H2-Infrastruktur und zeigen Chancen für die Grafschafter Wirtschaft auf

Das Thema Wasserstoff hat durch den Krieg in der Ukraine eine neue Brisanz erfahren: Angesichts eines drohenden Gasstopps aus Russland machen sich auch regionale Unternehmen noch einmal vermehrt Gedanken über alternative Energieträger. Welche Einsatzmöglichkeiten aber bietet Wasserstoff, woher kommt er und wie gelangt er zu den potentiellen Verbrauchern? Antworten auf diese Fragen gab jüngst eine Informationsveranstaltung im NINO-Hochbau in Nordhorn, zu der die Wirtschaftsvereinigung der Grafschaft Bentheim e.V. (WV) und die Wirtschaftsförderung des Landkreises Grafschaft Bentheim gemeinsam geladen hatten.

Als Referenten vor Ort waren Dr. Tim Husmann von der H2-Region Emsland, einem Verbund der Wasserstoffakteure im Grafschafter Nachbarkreis, Heiko Eisert als Vertreter der RWE Generation SE, an deren Lingener Standort gleich mehrere Projekte zur Wasserstoffproduktion entstehen sowie Frank Heunemann von der Nowega GmbH, einem Fernleitungsnetzbetreiber, dessen derzeitige Gas-Pipelines – die quer durch die Grafschaft verlaufen – schon in absehbarer Zeit für den Transport des Wasserstoffs genutzt werden könnten.

Raus aus dem Fossilen, rein ins Erneuerbare: Auf dem Weg zu diesem Ziel nimmt der Energie- und Hoffnungsträger Wasserstoff eine entscheidende Rolle ein, erklärte Dr. Tim Husmann vor den anwesenden Vertretern der Grafschafter Wirtschaft. „Wasserstoff ist in der Strategie der Bundesregierung als ein zentraler Baustein der Energiewende fest verankert. Unsere Region hat mit ihrer exponierten Lage zwischen Küste und Ruhrgebiet und der hervorragenden Gas- und Strom-Infrastruktur beste Voraussetzungen, um zu einem zentralen Knotenpunkt der europäischen Wasserstoffwirtschaft zu werden. Schon heute sind wir Vorreiter auf diesem Gebiet. Das bietet den regionalen Unternehmen die fast einmalige Chance bereits in der Frühphase vom regional produzierten grünen Wasserstoff zu profitieren“, betonte er. Die Verwendungszwecke könnten vielfältiger kaum sein: Wasserstoff kann als Treibstoff für Personen- und Lastwagen sowie Flurförderzeuge dienen, in der Industrie etwa bei der Stahlerzeugung, der Düngemittelproduktion oder in Chemiewerken eingesetzt werden und eignet sich als Energiequelle, wenn es etwa um die Prozessdampferzeugung oder gar um die Rückverstromung geht.

Gewonnen wird das begehrte Element durch die sogenannte Elektrolyse, also die Aufspaltung von Wasser mittels elektrischem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff. Anvisiert wird die Produktion von „grünem Wasserstoff“ mit Strom aus nachhaltigen Quellen wie der Windkraft. Dem Standort Lingen kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu, erläutert Heiko Eisert von der RWE Generation SE: In direkter Nachbarschaft zum Gaskraftwerk Emsland soll die Wasserstoffproduktion erfolgen – denn: „Gaskraftwerke und Wasser-Elektrolysen benötigen die gleiche Infrastruktur: eine Wasserquelle sowie Anschlüsse an das öffentliche Strom- und Gasnetz“, so Eisert. Erste Komponenten einer Pilot-Elektrolyseanlage mit einer Kapazität in Summe von 14 Megawatt (MW) könnten noch Ende dieses Jahres ihren ersten Testbetrieb aufnehmen und unter industriellen Rahmenbedingungen erprobt werden. Damit wird sie mit zu den größten Anlagen ihrer Art in Deutschland gehören.

Die RWE Generation SE gehört zusammen mit weiteren namhaften Playern der Initiative „GET H2“ an, die eine deutschlandweite Wasserstoff- Infrastruktur vorantreiben möchte. Ein wesentlicher Pfeiler dieses Zusammenschlusses ist das Projekt „GET H2 Nukleus“: Zwischen dem H2-Erzeugungsstandort in Lingen und wichtigen Großabnehmern im Ruhrgebiet soll eine der ersten öffentlich zugänglichen Wasserstoffleitungen entstehen – größtenteils unter Nutzung bestehender Gaspipelines der Nowega, die dafür mit verhältnismäßig geringem Aufwand umgestellt werden können. Auch der Anschluss großer Kavernen im Bereich Gronau-Epe zur Wasserstoff-Speicherung ist vorgesehen.

Da die Trasse durch die Grafschaft verläuft, kann das Projekt auch für hiesige Unternehmen von Interesse sein. Die Experten empfehlen aber, sich wegen möglicher Anschlüsse frühzeitig zu melden. „Wenn die Leitung erst einmal unter Druck steht und dann im laufenden Betrieb Anschlüsse ergänzt werden müssen, wird es entsprechend teurer“, mahnte Ralf Hilmes, Leiter der Wirtschaftsförderung. Ebenso wird ein „Clustering“ empfohlen: Gemeint ist damit, dass beieinander liegende Betriebe sich abstimmen und gemeinsam ihren Bedarf anmelden. Heiko Eisert bekräftigte abschließend: „Wir freuen uns über jede Anfrage, auch wenn die Idee noch nicht ausgereift ist. Halbfertige Skizzen können wir gemeinsam vervollständigen.“

Schon zu Beginn der Veranstaltung hatte WV-Geschäftsführerin und Gastgeberin Gitta Mäulen die Dringlichkeit des Themas unterstrichen: Mit Blick auf die hohen Energiepreise, die Inflation, die Lieferkettenproblematik und die unklare Versorgungssicherheit befinde man sich in einer sehr angespannten Situation, die sich aktuell weiter verschärfe. Von der Politik forderte sie „einen Regelungsrahmen, der Innovationen ermöglicht und nicht ausbremst“. Zusammen mit Ralf Hilmes dankte sie den Referenten für ihre Ausführungen. Bei Fragen zum Thema Wasserstoff stehen sowohl die Wirtschaftsvereinigung als auch die Wirtschaftsförderung als Ansprechpartner für hiesige Unternehmen zur Verfügung.

Bildunterschrift: Frank Heunemann (links) von der Nowega GmbH verdeutlichte, dass Gas-Pipelines schon bald für den Transport von Wasserstoff genutzt werden könnte. Bildquelle: Wirtschaftsvereinigung der Grafschaft Bentheim e.V.